Die 3 großen Lügen des Barbie-Filmmarketings und 6 positive Highlights des Films
(Von Max Werschitz | 28.7.2023)
Die drei großen Lügen des Barbie-Filmmarketings sind meiner Ansicht nach auch die drei großen Probleme des Barbie-Films und lassen sich ganz gut anhand von Aussagen der Hauptdarstellerin Margot Robbie zusammenfassen. (Diese fielen in einem Interview bei dem Regisseurin und Co-Autorin Greta Gerwig fleißig nickend danebensaß).
(1) „It was literally crafted to be for everyone… like Greta said, this is a big party and everyone is invited“ war ihre Antwort auf die Frage ob der Film nun für Kinder sei oder nicht.
Nein. Der Film ist eine gutgemeinte aber auf weiten Strecken patscherte Satire für Erwachsene. Und zwar Erwachsene die sich idealerweise auch halbwegs intensiv mit kritischen Theorien zu Feminismus, Patriarchat, und vor allem der soziokulturellen Geschichte des Phänomens Barbie befasst haben. (Das offizielle Rating in den USA ist übrigens PG-13, was bedeutet dass Unter-Dreizehnjährige ihn nur in Begleitung einer/eines Erziehungsberechtigten sehen sollten). Der Film bietet weder für Buben noch für Mädchen Rollenvorbilder. Er bricht Stereotypen nicht auf, er zementiert sie ein.
(2) „When I got asked the other day is Barbie a feminist, well, she actually is like the level up from that. If you look at Barbieland at the beginning, the Barbies are on top and the Kens are kind of disregarded (…) Towards the end when they balance things out she might be a feminist.“
Nein. „Balance things out“? Genau das macht der Film eben nicht. Seine Botschaft ist dass das Patriarchat scheiße ist (agreed!), und dass man deswegen das Matriarchat in Barbieland retten muss ohne wirklich eine Gleichstellung der Geschlechter anzustreben. Darüber wird sogar extra gewitzelt: als die Kens am Ende die Barbies bitten gleich behandelt zu werden wie sie wird ihnen gesagt dass sie vielleicht iiiiirgendwann genauso gleich behandelt werden wie… aktuell die Frauen in der echten Welt (und zwar der „echten“ Welt des Barbie-Films, die eine Ansammlung übelster Klischees ist die meiner Meinung nach sogar über Satiremechanismen hinausgeht).
(3) „I knew Greta was going to have a lot to say and I knew she was kind of going to Trojan Horse a lot of big issues within a very fun world.“
Nein. Was Greta Gerwig und ihr Co-Autor Noah Baumbach da gebaut haben ist das Gegenteil eines trojanischen Pferdes. Die (an sich unglaublich wichtigen!) Themen des Films werden in einer absurd hohen Dosis völlig subtilitätsbefreiter Monologe und Reden rausgeschossen. Wörtliches Zitat: „(…) the cognitive dissonance required to be a woman under the patriarchy (…)“ samt Auflistung von zig Beispielen. Mehrmals.
Dabei zeigt der Film ein Mal selbst wie es besser ginge, nämlich nach dem guten alten „Show, don’t tell“-Prinzip gekoppelt mit emotionaler Handlungs- und Charakterentwicklung: Am Anfang leidet Ken sichtlich darunter dass er generell eher ignoriert und auch nie zu Barbies Parties eingeladen wird, denn „Every night is girls night!“ Gegen Ende des Films, nachdem Ken Barbieland in sein ‚Kendom’ umgemodelt hat und Barbie nicht mehr in ihr Haus lässt wo jetzt alle Kens feiern, sagt er zu ihr mit schmerzvoller Genugtuung: „How does that feel? It is NOT fun, is it? Every night is boys night!!!“ Was für eine großartige Metapher für das Patriarchat!
Ähnliches Beispiel: der Mattel-Chef sagt an einer Stelle des Films zu Barbie „Get in that box“ und zeigt ihr eine menschengroße Barbie-Verpackungsschachtel in die sie gefälligst zurück eingekastelt gehört…
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Die drei genannten Probleme gelten vor allem für die zweite Hälfte des Films. In der ersten wird mit viel Liebe fürs Detail, guten Ideen und durchaus gewitzt großes Potenzial aufgebaut. Es ist ein bisschen wie ein rosa Luftballon der zuerst verheißungsvoll aufgeblasen und dann mit Inbrunst zerplatzt und ins Klo gespült wird.
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Aber weil ich, wie mein Podcast-Kompagnon Thomas mir ja so oft augenzwinkernd vorwirft, ja eigentlich ein viel zu netter Mensch bin, ist hier auch schon Schluss mit der Kritik und es folgen – ebenfalls großteils zitatbasiert – noch ein paar meiner absoluten Highlights:
(1) Es gibt eine „Weird Barbie“ die so wurde wie sie ist weil ‚ihr Kind’ so wild mit ihr gespielt hat. Fantastisches Konzept – wobei, davon hätte ich gerne mehr gesehen! Für mich wäre ein guter Barbie-Filmansatz gewesen sich mehr darauf zu konzentrieren wie unterschiedlich Kinder ihre Puppen behandeln, welche Fantasien sie ausleben, welche persönliche Welt sie nachspielen und welche imaginäre Welten sie sich erspielen – und wie sich das auf Barbieland auswirkt. Dann hätte man dort eine wirklich bunte Mischung an Barbies und Kens gehabt, die die Vielfältigkeit der Menschen subtil zeigen und potenziell aufarbeiten!
(2) Barbie sagt über das Kind von dem sie vermutet dass es mit ihr spielt „Why would she be sad? We fixed everything so that all women in the real world can be happy and powerful“. Hier wird treffend die verlogene (oder zumindest verscheiernde) Werbelinie von Mattel direkt angegriffen.
(3) Barbie geht zu Mattel und fragt „Can I just speak to the woman in charge?“, um festzustellen dass der gesamte Vorstand tatsächlich nur aus Männern besteht. Woraufhin der Mattel-Boss patzig wird und antwortet dass sie eh in den 90ern mal einen weiblichen CEO hatten und irgendwann vielleicht nochmal einen aber er weiß nicht mehr so genau, und überhaupt, sie haben ja sogar gender-neutrale Klos!
(4) Es gibt einen Werbeclip für eine neue Drepression Barbie: „OK kids, it’s time to run out and get the new Depression Barbie! She wears sweatpants all day and night, she spent seven hours today on Instagram, looking at her estranged best friend’s engagement photos while eating a family sized bag of Starburst. And now her jaw is killing her and she is going to watch BBC’s ‚Pride and Prejudice’ for the seventh time until she falls asleep!” Es folgt der Hinweis “Anxiety, panic attacks and OCD sold seperately” und als Abschluss natürlich der berühmte Slogan: “You can be anything. Barbie.“
(5) Sobald Ken herausfindet wie es in der echten Welt läuft, und nachdem er sich durch Bücher zum Thema Patriarchat gearbeitet hat, versucht er einen Job zu bekommen eben einfach weil er ein Mann ist. Diese Szenen waren einige der wenigen die mich wirklich zum lauten Lachen gebracht haben. Besonderes Highlight war folgender Dialog: „Isn’t being a man enough?“ fragt Ken; der Business-Typ mit dem er redet antwortet „Actually right now it’s kinda the opposite“, woraufhin Ken meint „You guys are clearly not doing patriarchy very well!“ und der andere lacht: „No, we’re doing it well, we just hide it better“.
(6) „No one looks like Barbie… except Barbie“ sagt Ruth Handler (die Erfinderin von Barbie die auch als Charakter im Film vorkommt) lakonisch bzgl. des Problems der unrealistischen Körpervorbilder – perfekt formuliert.
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Nachtrag. Ein Beispiel wie man die Problematik getrennter, klischeegetränkter Spielzeuge für Buben bzw. Mädchen wirklich clever und wirksam aufzeigt war vor vielen Jahren folgende Aktion: Jemand hatte es geschafft bei einigen Barbies und GI Joes die ‘voice boxes’ zu tauschen bevor sie in den Spielzeugläden landeten. Woraufhin die Barbies dann lautstark zu Kampfhandlungen aufgerufen haben während die GI Joes kichernd fragten ob man nicht mit ihnen shoppen gehen will…